Die Bedeutung von Nutzungsinformationen in elektronischer Form
tekom unterstützt gemeinsam erarbeitetes Positionspapier
Nutzungsinformationen in elektronischer Form (häufig wird auch von Nutzungsinformationen in digitaler Form gesprochen) sind in vielen Branchen bereits etwas Alltägliches. Allen voran arbeitet die Softwareindustrie seit Jahren hauptsächlich nur noch mit elektronisch bereitgestellten Nutzungsinformationen.
Eine tekom-Umfrage hat bereits 2015 ergeben, dass 75 % aller befragten Softwareunternehmen einen Print-Anteil von unter 25 % hatten, gemessen am Gesamtdokumentationsumfang. Dagegen hatten 50 % der befragten Industrieunternehmen einen Printanteil von 75 % oder mehr Prozent.
Die Europäische Union hat in einem sehr sensiblen Bereich – den Medizinprodukten – bereits vor Jahren einen Vorstoß gemacht. Die Verordnung (EU) Nr. 207/2012 über elektronische Gebrauchsanweisungen für Medizinprodukte regelt die Bedingungen, unter denen Gebrauchsanweisungen für Medizinprodukte in elektronischer Form anstatt Papierform zur Verfügung gestellt werden dürfen. Die Verordnung hatte aber keinen durchschlagenden Erfolg. Die Anforderungen wurden von vielen Unternehmen als zu hoch angesehen. Insbesondere der Vorbehalt, dass die Papierversion auf Anforderungen des Kunden innerhalb von 7 Kalendertagen lieferbar sein müsse, war für viele ein K.-o.-Kriterium.
Die Europäischen CE-Richtlinien treffen zur Frage der Bereitstellungsform (Papier/elektronisch) keine Aussage.
Die Aussagen der rechtlich nicht bindenden Guidance-Dokumente (Blue Guide, Guide to application of the Machinery Directive) treffen veraltete und fragwürdige Aussagen zu diesem Thema. Das führt schlicht zu einer Rechtsunsicherheit, die letztendlich die Wirtschaft an einer Weiterentwicklung in diesem Bereich hindert.
Nun geht die Maschinenrichtlinie in Überarbeitung. Die Maschinenrichtlinie strahlt auch auf andere Richtlinien wie z.B. die Niederspannungsrichtlinie aus. Eine Regelung von Betriebsanleitungen in elektronischer Form in der Maschinenrichtlinie wäre eine Initialzündung für andere CE-Richtlinien.
Daher haben sich vor über einem Jahr in einem Arbeitskreis der DKE unter der Leitung von Dr. Claudia Klumpp (tekom) zahlreiche Vertreter von Verbänden und größeren Industrieunternehmen zusammengefunden, um ein Positionspapier zu erarbeiten. Das Positionspapier richtet sich an die Politik und zeigt auf, dass an einer Klarstellung zur Betriebsanleitung in digitaler Form kein Weg vorbeiführt. An dem Positionspapier haben unter anderem aktiv mitgewirkt:
- Kevin Behnisch, Abteilungsleiter Smart Technologien und Industrie, VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut GmbH
- Artur Bondza, Head of Content & Product Information Management, Pepperl+Fuchs SE (ZVEI)
- Udo Keul, Technical Editor MTM Dokumentation, Endress+Hauser SE+Co. (ZVEI)
- Dr. Claudia Klumpp, Stellvertretende Geschäftsführerin, Gesellschaft für Technische Kommunikation – tekom Deutschland e.V.
- Thomas Kraus, VDMA, Technik, Umwelt und Nachhaltigkeit
- Matthias Kurrus, Head of Technical Documentation, Sick AG (ZVEI)
- Jens-Uwe Heuer-James, Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (tekom)
- Roland Schmeling, Geschäftsführer SCHMELING + CONSULTANTS (tekom)
Das Positionspapier wurde sowohl in den Erweiterten Vorstand der tekom Deutschland als auch in die Delegiertenversammlung eingebracht und erhält dort volle Unterstützung. Bitte tragen Sie dieses Positionspapier weiter und helfen Sie damit, die Politik zu einer Klarstellung dieses Themas zu bewegen.
Positionspapier des DKE AK 113.0.4 zur Bereitstellung von Betriebsanleitungen in digitaler Form
08. April 2020
Forderung
Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie im digitalen Umfeld erfordert Betriebs-anleitungen in digitaler Form. Die Rahmenbedingungen sind aktuell unklar! Im Zusammenhang mit der derzeitigen Revision der Maschinenrichtlinie fordern wir eine Klärung des Einsatzes der digitalen Betriebsanleitung. Dadurch wird die Innovation der europäischen Industrie vorangetrieben und die digitale Souveränität in Europa gestärkt.
Die Europäische Kommission strebt den digitalen Binnenmarkt an1. Eine der Säulen des digitalen Binnenmarkts ist der ungehinderte (schrankenlose) Zugang zu digitalen Produkten. Das bedeutet, dass auch die Möglichkeiten der Digitalisierung umfassend genutzt werden müssten. Sofern anwendbar, sollte etwas, das für die Produkte gilt, auch für Informationen gelten, die Teil des Produkts sind – wie hier die Betriebsanleitungen. Die Annahme, Papier sei das Mittel der Wahl, ist nicht zeitgemäß und ist auch insofern nicht korrekt, weil das Informationsmedium immer passend zum Produkt und dessen Nutzer ausgewählt werden muss. Für einige Produkte können sogar mehrere Informationsmedien erforderlich sein.
Die Maschinenrichtlinie stellt keine Anforderungen an die Form der Betriebsanleitung und ihr Anwendungsbereich umfasst eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Produkte: die Spanne reicht von Komponenten bis zu komplexen Maschinenanlagen und von Maschinen in Stückzahl eins bis zu Serienprodukten. Der Guide to Application of the Machinery Directive vermittelt bislang aber eher eine zurückhaltende Haltung gegenüber Betriebsanleitungen in digitalen Formen:
Der Guide to Application of the Machinery Directive trifft in § 255 folgende Aussage:
“Section 1.7.4 does not specify the form of the instructions. It is generally agreed that all health and safety related instructions must be supplied in paper form, since it cannot be assumed that the user has access to the means of reading instructions supplied in electronic form or made available on an Internet site.”.Als optionale Ergänzung sagt der Guide: “However, it is often useful for the instructions to be made available in electronic form and on the Internet as well as in paper form, since this enables the user to download the electronic file if he so wishes and to recover the instructions if the paper copy has been lost. This practice also facilitates the updating of the instructions when this is necessary.”
Der Guide to Application of the Machinery Directive geht noch immer davon aus, dass der Zugang zu einer Betriebsanleitung in digitaler Form oder durch Zugriff auf eine Website wenig verbreitet sei. Die Verbreitung von Smartphones, Tablets u. Ä. zeigt allerdings eine andere Tendenz und nimmt stetig zu.
Auch die Aussage des „Blue Guide“ in Fußnote 99 (EN) / 100 (DE) wirft Fragen auf und löst weitere Probleme aus:
“…Unless otherwise specified in specific legislation, whilst the safety information needs to be provided on paper, it is not required that all the set of instructions is also provided on paper but they can also be on electronic or other data storage format. However, a paper version should always be available free of charge for the consumers who request it.”
Der Ansatz, nur die sicherheitsbezogenen Informationen in Papierform vorzulegen, lässt einen wesentlichen Zusammenhang außer Acht: Ohne Handlungskontext können sicherheitsbezogene Informationen Risiken auslösen, statt sie zu verhindern. Maschinenanwender könnten sich veranlasst sehen, die Maschine allein auf Basis der sicherheitsbezogenen Informationen zu verwenden. Die Fußnote greift insofern zu kurz.
Die Maschinenrichtlinie regelt momentan das Inverkehrbringen, aber nicht die weitere Bereitstellung in der Lieferkette. Hier greift also schon der Ansatz des Leitfadens nicht. Mit der Neufassung der Maschinenrichtlinie wird die Angleichung an den Beschluss Nr. 768/2008/EG erfolgen, so dass die Lieferkette zukünftig dabei mitberücksichtigt ist. Die digitale Betriebsanleitung bietet den Wirtschaftsakteuren bessere Voraussetzungen, ihre jeweiligen Pflichten effizient zu erfüllen und fördert den europäischen digitalen Binnenmarkt. Zum Beispiel lässt sich die Betriebsanleitung dem nächsten Wirtschaftsakteur in der Lieferkette besser bereitstellen – die Verfügbarkeit wird dadurch erhöht. Darüber hinaus kann der Händler auch hinsichtlich der Sprache und Form besser reagieren und Bedürfnisse des Maschinenanwenders besser erfüllen.
In Bezug auf die Anwendungspraxis von Maschinenrichtlinie und Guide wurde in einzelnen Mitgliedstaaten vielfach beobachtet, dass die Behörden der Marktüberwachung eine unterschiedliche Herangehensweise praktizieren.
Für den sensiblen Bereich der Medizinprodukte regelt die Verordnung Nr. 207/2012 die Bereitstellung von „Gebrauchsanleitungen in elektronischer Form“. Von Rechtsbetroffenen wird berichtet, dass die Regelungen nicht praxisgerecht sind und sie verzichten daher auf die Bereitstellung in elektronischer Form. Die Verordnung hat damit die beabsichtigte Wirkung verfehlt – die Papiermenge nimmt nicht ab, sondern weiter zu.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass eine einheitliche Linie bezüglich Benutzerinformationen in digitaler Form noch nicht erkennbar ist.
Mit den genannten Vorgaben lassen sich digitale Lösungen nicht rechtsicher umsetzen.
Auf Seiten der Industrie herrscht Unsicherheit bei der Umsetzung digitaler Lösungen.
Diese Unsicherheit behindert technische Innovationen in den Unternehmen und ihren Weg zur Digitalisierung.
Zwischen den binnenmarktbezogenen Rechtssetzungen und dem Ansatz des digitalen Binnenmarkts droht ein Widerspruch zu entstehen.
Die Digitalisierung des Lebens führt in der breiten Bevölkerung und auch beim Nutzer von Maschinen zu Veränderungen des Lese- und des Rechercheverhaltens.
Die Erwartungen an die Integrierbarkeit von Informationen hat sich in der Wirtschaft geändert (Beispiele: DIN SPEC 91406 zur eindeutigen Identifikation von Produkten, DIN 77005-1 Digitale Lebenslaufakte, VDE 0170-100, VDI 2770 Digitale Herstellerinformation).
Betriebsanleitungen in digitaler Form sind nachhaltiger als Papier und erzielen eine weitaus höhere Verbreitung.
Um Wirtschaftsakteuren und Marktüberwachungsbehörden Sicherheit und Verlässlichkeit zu geben, damit freier Warenverkehr gefördert und nicht behindert wird, muss gehandelt werden.
1Letztmalig durch den Mission Letter von Frau Kommissionspräsidentin Von der Leyen in der Forderung konkretisiert:
“I want you to focus on building a real single market for cybersecurity, notably looking at certification, implementing rules on security of network and information systems, rapid emergency response strategies and other relevant areas. You should lead the work to build a joint Cyber Unit to better protect ourselves.”
Betriebsanleitungen in digitaler Form sind nachhaltig
Sie können in beliebiger Anzahl bereitgestellt und verbreitet werden. Bei Verlust ist kein Neuausdruck erforderlich. Bei Aktualisierungen entsteht kein Papiermüll. Der Druck nicht benötigter Sprachfassungen entfällt; beispielsweise bei auf Lager produzierten Maschinen, die eine Betriebsanleitung in über 20 Sprachen enthalten, obwohl nur eine Sprache benötigt wird.
Betriebsanleitungen in digitaler Form erhöhen die Sicherheit
Betriebsanleitungen in digitaler Form ermöglichen die Suchfunktion. Benötigte Informationen werden so wesentlich schneller gefunden und können leichter aktuell gehalten werden.
Betriebsanleitungen in digitaler Form können Informationen kontextbezogen darbieten. Sie ermöglichen eine Bedienerführung bis hin zu interaktiven Inhalten, die dem Bediener eine Erfolgskontrolle erlauben. Aktualisierte Versionen der Betriebsanleitung können sofort genutzt werden. Die Rückverfolgbarkeit ist mit der Betriebsanleitung in digitaler Form sichergestellt, da sie eine eindeutige Zuordnung der Produktinformation zum Produkt möglich macht.
Betriebsanleitungen in digitaler Form erleichtern Maßnahmen des betrieblichen Arbeitsschutzes des Arbeitgebers, weil erforderliche Informationen bereits im Vorfeld einer Maschinenlieferung oder bei Inbetriebnahme bereitgestellt werden können.
Betriebsanleitungen in digitaler Form unterstützen die Barrierefreiheit und können dem Nutzer zusätzliche Hilfestellungen geben
Betriebsanleitungen in digitaler Form ermöglichen Schriftvergrößerung oder Vorlesefunktionen. Die Betriebsanleitung in digitaler Form bietet viele Möglichkeiten für zusätzliche Hilfestellungen für den Nutzer, wie z.B. Chatbots, Onlinehilfe, Tutorials oder Videos, Links auf weiterführende Informationen oder auf Webseiten, wo passende Ersatzteile und Materialien bestellt werden können und das Risiko von Fehlbestellungen dadurch sinkt.
Betriebsanleitungen in digitaler Form sind flexibler
Betriebsanleitungen in digitaler Form können durch einen Download offline verfügbar gemacht werden und sind ortsunabhängig verfügbar. Zwischen den verfügbaren Sprachen kann einfacher gewechselt werden. Bei der Erstellung von Gesamtdokumentationen zu komplexen Maschinen, bestehend aus Einzelkomponenten unterschiedlicher Hersteller, können Betriebsanleitungen in digitaler Form einfach und kontextbezogen integriert werden.
Betriebsanleitungen in digitaler Form fördern Zukunftstechnologien
Betriebsanleitungen in digitaler Form unterstützen moderne Nutzungsszenarien, wie die Verwendung von AR-Brillen, digitalen Trainingsmodellen in VR oder Fernwartungsszenarien (remote services).
Anders als bei der klassischen Papierform, die ganze Regalmeter, Archivräume und Container füllen kann, sind den digitalen Formen der Bereitstellung keine Grenzen gesetzt.
Angefangen von elektronischen Speichermedien, wie DVD oder USB-Stick, können Informationen auch eingebettet werden (z.B. über einen RFID-Chip) oder zum Download bereitgestellt werden (z.B. über das Auslesen eines QR-Codes). Mobile Endgeräte sind im industriellen Bereich mittlerweile weit verbreitet und erlauben schnellen und direkten Zugriff auf Betriebsanleitungen (on- oder offline).
Bei komplexeren Maschinen und Anlagen, mit einer Mensch-Maschine-Schnittstelle der Steuerung, ist die Betriebsanleitung oft am Bedienplatz integriert.
Bei Bedarf sind solche digitalen Möglichkeiten auch noch untereinander kombinierbar.
Die Erstellung und Bereitstellung der Betriebsanleitung sind grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderung des Anhang I der Maschinenrichtlinie. Diese Anforderungen sind vom Hersteller zu erfüllen. Es gibt zwei grundsätzliche Möglichkeiten zur Umsetzung:
- Direkte Mitlieferung, z.B. eingebettet in die Maschinensteuerung oder auf einem getrennten Datenträger, wie USB-Stick.
- Mitlieferung der Quelle für den Zugriff auf die Betriebsanleitung, z.B. durch QR-Code, Barcode, RFID-Chip etc.
Auch in diesem Fall muss die Betriebsanleitung zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens für den Verwender nachweislich verfügbar sein.
Der Hersteller entscheidet hierbei über die zu verwendende Bereitstellungsform und -technologie, um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Für die Entscheidung, welche Information er in welcher Form bereitstellt, muss der Hersteller folgende Punkte beachten:
- Zielgruppe des Produkts
- Konkrete Nutzungssituationen
- Bestimmungsgemäße Verwendung des Produkts und die vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung
- Anwendung des Standes der Technik (ggf. durch Anwendung relevanter Normen)
- Vertragliche Vereinbarungen
- Wirksamkeit der Bereitstellung, damit die Information den Verwender sicher erreicht
Betriebsanleitungen in digitaler Form erfordern eine Technologie zur Anzeige. Zur Wirksamkeit der Bereitstellung einer Betriebsanleitung in digitaler Form ist folgendes zu beachten:
1. Eignung
Was eignet sich für die Zielgruppe und die konkrete Nutzungssituation? (Internetzugang, dunkle Umgebung, geringer Visus, besonders helle Umgebung und sich daraus ergebende Erfordernisse wie beleuchtete Anzeige, Barrierefreiheit, Berücksichtigung spezieller Belange von Verbrauchern)
2. Verfügbarkeit
Es muss eine eindeutige Zugriffsmöglichkeit geben, die für ein individuelles Produkt gültig, dauerhaft und einfach ist. Hierbei ist beispielsweise zu berücksichtigen, dass Download-Links bei Erstellung einer neuen Webseite erhalten bleiben müssen.
3. Darstellbarkeit
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten:
1. Es wird ein Format gewählt, welches bereits sehr weit verbreitet und zukunftstauglich ist
2. Die Informationen werden mit dem Produkt oder am Produkt bereitgestellt (Bereitstellung der Hard- und Software zur Darstellung gemeinsam mit dem Produkt)